Es ist ein großes Spektakel, wenn der US-Präsident alljährlich den Knopf drückt und bunte Lichter am Weihnachtsbaum aufblinken. Jubel aus tausenden Kehlen, die US States Marine Band spielt, Fernsehkameras filmen.
Und Stars aus der Unterhaltungsbranche singen poppige Weihnachtssongs auf einer Bühne im "Ellipse"-Park. Dort, südlich des Weißen Hauses in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D.C., wurde vor 100 Jahren erstmals der "National Christmas Tree" entzündet.
Was am 24. Dezember 1923 als Initiative städtischer Bediensteter und Vertreter der Elektroindustrie eher still in unmittelbarer Nähe des präsidialen Amtssitzes begann, hat sich über die Jahrzehnte zu einer patriotischen Familienshow entwickelt.
Rund 10.000 Besucher werden live erwartet
Diese findet dieses Jahr am 30. November statt und wird vom US-Fernsehsender CBS am 15. Dezember in die Wohnzimmer der Amerikaner übertragen. Rund 10.000 Besucher sind live dabei, sie wurden durch eine Lotterie ausgewählt. Zu Beginn der Weihnachtszeit versichert sich die zunehmend gespaltene US-amerikanische Nation ihrer Einheit und Stärke, auch gegenüber der restlichen Welt.
Das Entzünden der Lichter eines meterhohen - immer wieder auch in den Nationalfarben Rot, Blau und Weiß leuchtenden - Nadelbaums durch den Präsidenten und die First Lady ist ein hoch symbolischer Akt: Wie seine Amtsvorgänger forderte US-Präsident Joe Biden vergangenes Jahr seine Landsleute dazu auf, in krisenhafter Zeit für amerikanische Werte wie Demokratie, Freiheit und Familie zusammenzustehen - und dankte den weltweit stationierten US-Truppen.
Immergrüner Christbaum sei Hoffnungszeichen
Der immergrüne Christbaum sei ein Hoffnungszeichen und erinnere daran, "dass auch in den kältesten und dunkelsten Tagen des Winters das Leben und die Fülle zurückkehren werden", sagte Biden in seiner kurzen Ansprache.
Die Entzündung des "National Christmas Tree" zum Jahresende hat sich in der immer weniger christlich geprägten und multireligiösen US-Gesellschaft allerdings über die Jahre gewandelt. Ursprünglich hatte sich Präsident Calvin Coolidge (1872-1933) vor allem an ein christliches Publikum gerichtet, als er Weihnachten 1923 die Tradition mit einer 14,5 Meter hohen, mit 2.500 Glühbirnen geschmückten Balsamtanne begründete.
Heute wird die Zeremonie von der Nationalpark-Verwaltung, einer Abteilung des US-Innenministeriums, sowie der Nationalpark-Stiftung veranstaltet. 1925 wurde sie erstmals landesweit im Radio übertragen.
"Anstößig" für Nichtchristen
Die American Civil Liberties Union (ACLU) klagte Ende der 1960er Jahre gegen das Aufstellen einer Weihnachtskrippe mit der Geburtsszene von Jesus Christus in der Nähe des Baumes. Diese könne "anstößig" für Nichtchristen sein, argumentierte die liberale Bürgerrechtsorganisation.
Ein Richter entschied hingegen, das Entzünden des "National Christmas Tree" sei eine "völlig säkulare" Sache. Als Zwecke nannte er unter anderem, Wirtschaft, Arbeitsplätze und Tourismus in der Hauptstadtregion zu fördern.
Die demokratischen Präsidenten Barack Obama und Joe Biden machten in ihren Ansprachen deutlich, dass sich die weihnachtliche Friedensbotschaft an alle Menschen gleichermaßen richte. Provokativ und ausgrenzend agierte der Republikaner Donald Trump im Corona-Jahr 2020: In seiner Rede wünschte das Staatsoberhaupt nur seinen christlichen Mitbürgern ein gutes Weihnachtsfest.
"National Christmas Tree Lighting" ist eine Zustandsbeschreibung
Das gefühlsbeladene "National Christmas Tree Lighting" ist immer auch eine Zustandsbeschreibung der amerikanischen Politik und Gesellschaft und ihrer Themen. Präsident Harry S. Truman wetterte 1950 gegen "gottlosen Kommunismus".
Präsident Lyndon B. Johnson rief 1966 angesichts der wachsenden Bürgerrechtsbewegung dazu auf, auch schwarzen Amerikanern endlich gleiche Rechte zu gewähren. Als Präsident Coolidge 1923 erstmals den "National Christmas Tree" entzündete, waren nur Weiße zur Veranstaltung geladen. Die schwarze Bevölkerung der Hauptstadt durfte dann um Mitternacht nachfeiern.
Obama setzte als erster US-Präsident besonderes Zeichen
Barack Obama setzte als erster schwarzer US-Präsident ein besonderes Zeichen für die Gleichstellung. Der Musikliebhaber holte schwarze US-Stars wie Blues-Gitarrist B.B. King, Soul-Diva Aretha Franklin und die R&B-Sängerin Mariah Carey auf die Bühne.
Wenig abgewinnen kann der ehemalige Frankfurter und Wiesbadener Citykirchenpfarrer Jeffrey Myers indes der 100 Jahre alten amerikanischen Tradition. Die "Zivilreligion" eines guten Miteinanders mache Weihnachten "leicht zum allgemeinen Fest der Liebe oder zum winterlichen Wohlfühlfest", kritisiert der gebürtige
US-Amerikaner."Es bleibt ziemlich egal, was man glaubt: Hauptsache 'believe!'"