Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts "Himmelklar". Das komplette Gespräch zum Anhören gibt es hier:
Himmelklar: Die Kirche betet regelmäßig für geistliche Berufungen. Was kann man außerhalb des Gebets noch tun, damit mehr Menschen einer Berufung folgen?
Pfarrer Thorsten Weber (Leitung Pfarrei St. Ansgar in Hamburg): Ich will Ihnen sagen, was wir hier in Hamburg machen. Ein Mitbruder von mir, mit dem ich zusammen in Sankt Georgen war, sammelt junge Leute ganz niedrigschwellig zu Gesprächsabenden und versucht, eine Art Vorfeld aufzubauen, in dem so etwas wachsen kann.
Vor diesem Wort "Berufung" scheut man ja zunächst einmal völlig zurück. Das ist etwas Riesengroßes. Davor habe ich mich selber auch lange gescheut, dazu "ja" zu sagen, dass ich wirklich berufen bin. Das macht eine Perspektive auf, die einen zunächst einmal überwältigt.
Deshalb ist es wichtig, bevor die jungen Leute so etwas zu sich sagen können, dass sie in eine Atmosphäre hineinkommen, wo sie einfach mal ganz unverbindlich darüber sprechen können. Sie können mal sagen, wie es ihnen ums Herz ist. In einem geschützten Bereich, wo ihnen Wohlwollen entgegenkommt und nicht ein Stirnrunzeln, so nach dem Motto: Ist mit dem irgendwas nicht in Ordnung, der will Priester werden?
Himmelklar: Das Erzbistum Hamburg ist ein absolutes Diasporagebiet. Wie erleben Sie hier das Priestertum im Vergleich zu anderen Bistümern?
Weber: Natürlich haben wir eine gewisse norddeutsche Nüchternheit gegenüber manchen Dingen, die auch manchmal sehr wohltuend ist. Was ich an meinen Mitbrüdern hier im Presbyterium sehr schätze, ist, dass gerade auch die Älteren noch sehr durch die Osnabrücker Vergangenheit geprägt sind.
Bis 1995 sind wir ja Bistum Osnabrück gewesen, und damals hatte man die kluge Angewohnheit, die Norddeutschen, die aus der Diaspora kamen, ins Emsland zu schicken, also in das katholische "Mistbeet", wo sie mal so richtig katholisches Volkskirchentum kennenlernen konnten.
Die anderen aus dem Emsland wurden mal nach Flensburg oder nach Lübeck oder nach Hamburg geschickt. Und das hatte auch sein Gutes, weil man dann auch das andere Mal kennengelernt hat.
Das ist uns nun heute in unserem Erzbistum Hamburg verwehrt. Mit unseren 33.000 Quadratkilometern Fläche sind wir ja das größte aller deutschen Bistümer, aber von der Katholikenzahl hier natürlich eines der kleinsten, weil wir nur Diaspora haben. Wobei wir schon auch die drei Bistumsregionen sehr unterschiedlich kennzeichnen können.
Die absolute Diaspora ist natürlich Mecklenburg, mit stark abnehmender Zahl, weil die Katholiken dort nach dem Krieg als Flüchtlinge gelandet sind und dort durch die DDR-Zeit natürlich das Weitertragen des Glaubens sehr schwierig war. Es bedurfte schon einiges Mutes, damals zu sagen: Ich lasse mich firmen und gehe nicht zur Jugendweihe. Das konnte auch über Karrieren entscheiden.
Ich war ein Jahr lang Diakon in Ludwigslust in Mecklenburg und habe mir diese Biografien von Menschen erzählen lassen, die für ihren Glauben gestanden haben und heute noch stolz darauf sind, dass sie gefirmt wurden.
Ich erinnere mich aber an eine Dame, die gesagt hat, dadurch konnte sie nicht Medizin studieren, sondern sei dann Apothekenhelferin geworden. Das hat sie zur Liebe ihres Glaubens und ihrer Kirche getan. Davor ziehe ich natürlich den Hut – unter diesen schwierigen Umständen.
Heute haben wir stark abnehmende Gemeinden dort, aber auch wiederum sehr lebendige und sehr aktive Gemeinden. Es ist aber eine Herausforderung für meine Mitbrüder, die dort in der Fläche amtieren. Die fahren dann, wenn sie an einem Ort wohnen und in einem anderen Ort die Messe feiern, teilweise 40-50 Kilometer. Das ist schon eine große Herausforderung.
Himmelklar: Wie sieht denn Ihre Vorstellung von der Zukunft des Priestertums aus? Sowohl hier in Hamburg als auch in ganz Deutschland. Wie wird das Priestertum in zehn Jahren aussehen?
Weber: Was wir heute schon sehen können, ist, dass die Zahl der Bewerbungen nicht wesentlich zunehmen wird. Sie wird weiter auf einem niedrigen Niveau bleiben. Ich denke, das Wertvolle des Priesters wird immer bleiben. Das Tragische daran ist natürlich gerade für uns als katholische Kirche, wenn Sakramente nicht wahrgenommen werden.
Ich denke an das wunderbare Buch von Karl-Heinz Menke "Sakramentalität: Wesen und Wunde des Katholizismus". Ein wunderbarer Titel, der aber alles sagt. Wenn Sakramente nicht in Anspruch genommen werden, dann stirbt letztlich ein Stück Kirche.
Und wenn niemand geweiht wird, der die Sakramente spenden kann, dann kann man sich vielleicht irgendwie behelfen, aber letztendlich stehen wir vor der Frage: Wollen wir wirklich, dass weiter priesterliche Berufungen in unserem Land aufwachsen? Ich glaube, wir haben uns noch nicht genug Gedanken darüber gemacht, was wir tun müssen, um das noch zu intensivieren.
Wir sehen das zwar alle. In den Generalvikariaten und in den Bistumsleitungen sehen wir das alle – auch in Bistümern wie Passau oder auch Augsburg oder auch im heiligen Köln, wo die Zahlen an Geweihten zwar noch höher sind, ist es dennoch viel weniger als früher. Das heißt, auch da wird man in einer zeitlichen Verzögerung irgendwann ankommen.
Ich glaube, dass wir gut daran tun, uns neue Wege zu überlegen.
Das ist für mich natürlich auch eine Frage an Rom. Bezüglich der Amazonassynode hatten wir ja schon in der Diskussion, ob es nicht vielleicht doch Wege gibt, ich sage nicht, generell den Zölibat abzuschaffen, dieser Meinung bin ich überhaupt nicht. Ich bin der Meinung, dass der Zölibat etwas sehr Wertvolles und Einzigartiges ist und ein Geschenk, das der Mensch macht, der in diese Lebensform hineingeht, in einer Ganzhingabe an die Menschen, die ihnen anvertraut sind. Das hätte ich in der heutigen Kirche in Deutschland gerne auch etwas mehr gewürdigt.
Wenn immer so über Klerikalismus geredet wird, ist das für mich mittlerweile zu einer Generalklausel dessen verkommen, was einem alles nicht passt an der Kirche. Im Zweifel ist es immer Klerikalismus. Ich kann Ihnen aber nur sagen, ich kenne nun wirklich genug ganz unterschiedliche Priester, aber keiner von denen ist in der Gefahr, ein Klerikalist zu sein. Sie haben unterschiedliche Arten, an die Dinge heranzugehen. Sie haben unterschiedliche Temperamente, sie haben unterschiedliche Schwerpunkte. Aber ich kenne eigentlich nur Priester hier oben bei uns in unserem Bistum, die mit einer gewissen Demut, aber auch mit einer gewissen Freude, vor allen Dingen aber sehr bodenständig an ihre Aufgabe herangehen.
Himmelklar: Da haben Sie gerade etwas sehr Wichtiges gesagt. Wie gehen Sie denn mit Dingen um, die Sie selbst in der Kirche schwierig finden oder die Ihre Arbeit erschweren?
Weber: Zunächst einmal denke ich natürlich an mein Weiheversprechen. Der Bischof fragt einen ja einiges, bevor er einen weiht, und er fragt einen auch: "Bist du bereit, dich täglich enger mit Christus zu verbinden?" Das ist die letzte dieser ganzen Fragen zur Bereitschaft. Und die beantwortet man dann: "Mit Gottes Hilfe bin ich bereit."
Wenn ich also bereit bin, mich täglich enger mit Christus zu verbinden, dann bezieht sich das für mich nicht nur auf die Christusfigur allein, sondern auch auf seine Kirche. Wir sind Kirche. Wir alle gemeinsam. Und wir sind auch für diese Kirche gemeinsam verantwortlich. Wir sind der Leib Christi und Christus ist das Haupt. Das heißt, die Kirche liegt mir natürlich am Herzen, auch bei allem, was ich an ihr als Apparat kritisiere, wenn es mir in manchen Fragen nicht schnell genug vorangeht.
Ich finde aber immer dieses "sentire cum ecclesia" ("Fühlen mit der Kirche", d. Red.) besonders wichtig – und nicht "contra". Der von mir sehr verehrte Jesuit Martin Löwenstein, der auch einige Jahre hier bei uns am "Kleinen Michel" gewirkt hat, hat mal einen wunderbaren Satz gesagt, der mir immer wieder in den Kopf kommt, nämlich: "Man kann nur verändern, was man liebt."
Ich habe den Eindruck, dass manche Veränderungen wollen, weil sie die Kirche nicht lieben. Deshalb, finde ich, muss man immer genau schauen. Wir müssen auch in der Verbindung mit unserer Tradition bleiben. Die Tradition ist für mich aber nicht eine Schleppe von irgendwelchen angestaubten Dingen, die wir hinter uns herziehen, sondern die Tradition ist ein Schatz, den wir mit uns tragen.
Wenn wir sagen, katholisch ist das, was immer schon geglaubt wurde, dann gibt uns das auch eine heilsame Relativierung dessen, was wir heute für das eigentlich Katholische halten. Das ist das, was wir heute glauben. Aber wie war es denn vor 100 Jahren? Wie war es vor 300 Jahren? Wie war es vor 500 Jahren? Unsere Kirche geht ja auf den 2000. Geburtstag zu. Ich bin mal gespannt, wie wir den begehen. Ich hoffe, nicht in Sack und Asche, aber ich hoffe auch nicht überschnappend.
Eine Kirche, die 2000 Jahre ein kulturelles Gedächtnis bewahrt, die hat eine Kraft aus sich heraus. Dessen bin ich zutiefst überzeugt. Das lassen wir manchmal nicht genug an uns heran. Damit leben wir nicht genug. Wir haben, glaube ich, auch Werte, die es wert sind, in die Zukunft getragen zu werden und dafür auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit unserer Zeit zu kämpfen.
Wir haben den Leuten nach wie vor etwas zu geben und zu sagen. Deshalb glaube ich, dass wir auch eine gewisse Gelassenheit in all den Sorgen und krisenhaften Entwicklungen, die es auch innerhalb unserer Kirche in Deutschland gibt, bewahren sollten.
Das Interview führte Tim Helssen.