DOMRADIO.DE: Frau Alles, das "Bickolo" ist ein "Café und mehr", wie es in der Unterzeile zu der ökumenischen Begegnungsstätte heißt. Im September feiern Sie 30-jähriges Bestehen. Wofür genau steht das Café Bickolo?
Gudrun Alles (Leiterin von Café Bickolo im Kölner Stadtteil Westend): Für soziales und ehrenamtliches Engagement, für die Begegnung von Menschen aller Generationen und aus allen Teilen der Welt, für Lachen und Weinen, offene Ohren, anpackende Hände, für Gemeinschaft und die Sorge um den Einzelnen und das Gemeinwesen, aber auch für Vernetzung im Stadtteil sowie Unterstützung, Empowerment und Bildung.
Die Stärke des Cafés besteht darin, dass unsere Angebote für Kinder und Jugendliche, Familien, Frauen, Senioren und Menschen mit Fluchtgeschichte allen im Stadtteil offen stehen und durch die Schwerpunkte Begegnung, Bildung, Beratung, Freizeit und Kultur gekennzeichnet sind.
Die Querschnittsaufgaben Nachhaltigkeit, Vernetzung, Gesundheit, Vielfalt, Integration und Partizipation fließen ebenfalls mit ein. Seit Bestehen hat sich eine Art Unterstützungskultur entwickelt, die sogar über die Arbeit dieser Begegnungsstätte hinausreicht, zum Beispiel wenn sich Senioren und Alleinerziehende gegenseitig helfen.
Es gibt eine hohe Anzahl an Menschen in Transferleistungen, an Alleinerziehenden und Geflüchteten aus sehr unterschiedlichen Herkunftsländern sowie eine große Jugendarbeitslosigkeit. In einem kinderreichen Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf ist unser Blick immer darauf gerichtet, welche Ressourcen die Menschen haben.
Jeder hat Fähigkeiten, mit denen er sich in unserem Stadtteil oder im Café einbringen kann. Das Café war ursprünglich eine Initiative der evangelischen Kirche, wird seit 2008 aber ökumenisch getragen und hat sich in den letzten 30 Jahren zu einer wichtigen Anlaufstelle im Veedel entwickelt.
Es geht uns darum, mit bedarfsgerechten Angeboten auf gesellschaftliche oder stadtteilbezogene Problemlagen zu reagieren. Das Bickolo ist eine Kontakt- und Mittlerstelle, ein interkulturelles Zentrum – wenn auch bislang ohne Zertifikat.
DOMRADIO.DE: Welche Menschen begegnen sich hier, und wer ist Ihre Zielgruppe für die vielfältigen Angebote, die Sie mit einem großen Pool an ehrenamtlich Engagierten stemmen?
Alles: Menschen von 0 bis 99 Jahren aus etwa 20 verschiedenen Nationen, die die Vielfalt dieses Stadtteils widerspiegeln. Bei uns ist jeder willkommen. Es gibt offene Angebote, aber auch aufsuchende Hilfen.
Die Möglichkeit zur Beratung wirkt präventiv, kann Problemlagen beenden und hilft, Vertrauen aufzubauen. Dann gibt es Kunstworkshops, Eltern-Kind-Angebote, eine Mädchengruppe, Schülernachhilfe, Seniorenarbeit und Integrationskurse, eine Gartengruppe und immer wieder vor allem Angebote für Familien.
Demnächst kommt der Kölner Spielecircus für eine Woche ins Viertel. Im letzten Jahr haben wir ein Fastenbrechen mit 200 Nachbarn hier auf dem Clemens-Hastrich-Platz gefeiert. Wir organisieren eine Stadtteilführung für Senioren oder laden zu Stadtteilfesten und Nikolausfeiern ein.
Außerdem gibt es eine Kleiderkammer und Gelegenheit zum Büchertausch sowie im Sinne der Nachhaltigkeit einen Foodsharing-Fairteiler. Einmal wöchentlich kocht eine Gruppe Ehrenamtler ein Mittagessen, das kostenlos ausgegeben wird.
In dem Kochbuch "Kochen mit Würze und Pfiff" haben Familien aus dem Veedel leckere und günstige Gerichte mit regionalen Zutaten zusammengestellt. Die Menschen werden motiviert, sich aktiv in ihren Stadtteil einzubringen.
DOMRADIO.DE: Das Veedel gilt auch als sozialer Brennpunkt mit vielen Menschen, die eine internationale Familiengeschichte haben oder sozial schwächer gestellt sind. Wie fördern Sie da Begegnung?
Alles: Die Menschen zu erreichen, ist nicht immer einfach. Gerade auch in Zeiten von Verunsicherung und gesellschaftlicher Spaltung. Daher geht es grundsätzlich viel um den Aufbau von Vertrauen und um Niederschwelligkeit, zum Beispiel in Form kostenloser Angebote.
Wenn die Tür unseres Cafés offen ist, kann jeder reinkommen. Besonders wichtig sind die persönliche Ansprache und Begleitung. Von sozial belasteten Familien wird gerade die Beratung, die immer auch einen systemischen Ansatz verfolgt und ganzheitlich ist, stark nachgefragt.
DOMRADIO.DE: Was sind die Stärken Ihres Stadtteil-Zentrums?
Alles: Die Offenheit, die der Ort ausstrahlt und die sich auch in unserer Haltung widerspiegelt, ist sicher ein großes Plus unserer Einrichtung. Mit unseren Mitarbeitern, den festangestellten und den ehrenamtlichen, haben wir eine Kultur des Miteinanders, der Toleranz und der Unterstützung etabliert, die längst über unsere Räume hinaus reicht.
Wir stehen für Kontinuität und Gemeinschaft. Viele, die sich bei uns ehrenamtlich engagieren, haben selbst schon einmal Hilfe in Anspruch genommen und finden hier für sich einen Ort der Begegnung und der Gemeinschaft.
Als langjähriger sozialer Akteur sind wir stark vernetzt und wissen, dass man die besten Ergebnisse erzielt, wenn man sich zusammenschließt und Synergien aus Expertisen, aber auch aus Mitteln und der Nutzung von Räumlichkeiten entstehen.
So gestalten wir das Stadtteilfest der Stadtteil-Konferenz Bickendorf mit, schließen uns mit anderen zur Gestaltung von Ferienmaßnahmen zusammen und kooperieren mit den Kirchengemeinden, dem Jobcenter, der GAG Immobilien AG, dem Katholischen Bildungswerk, Familienzentren sowie städtischen Fachstellen wie dem Jugendamt, der Seniorenberatung, dem Kommunalen Integrationszentrum und dem Sozialamt.
DOMRADIO.DE: Wo liegen die größten Herausforderungen?
Alles: Schwierig ist eher, dass wir angesichts der Größe des Angebots knapp mit professionellen Kräften besetzt sind. Ich selbst habe nur eine Teilzeitstelle. Außerdem muss die Begleitung des Ehrenamtes, das nicht von alleine läuft, gewährleistet sein.
Aber bislang gelingt uns noch immer, mit relativ wenigen Mitteln viel auf die Beine zu stellen. Trotzdem sind unsere personellen und räumlichen Rahmenbedingungen sehr eng gefasst.
Ja, und dann macht es uns die momentane politische Stimmung nicht gerade leicht. Die Menschen leiden unter der Energiekrise und der Inflation, weil das Geld oft vorn und hinten nicht reicht.
Mitunter schwappen auch die Konflikte aus den Heimatländern, wo es Unterdrückung oder Auseinandersetzungen gibt, bis in unseren Stadtteil herüber. Ausgrenzungen entgegenzuwirken und das friedliche Miteinander zu fördern ist umso dringender.
DOMRADIO.DE: Welchen Part übernimmt bei diesem erfolgreichen Projekt die katholische Kirchengemeinde? Wie sieht die Kooperation zwischen dem Bickolo und dem Familienzentrum BiOs konkret aus?
Ute Freisinger-Hahn (Pastoralreferentin in Bickendorf, Ehrenfeld und Ossendorf sowie Pastorale Leitung des Katholischen Familienzentrums BiOs): Damit es überhaupt eine Grundlage für das Café Bickolo gibt, ist der finanzielle Beitrag der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde nicht unerheblich.
Dann engagiere ich mich mit dem evangelischen Kollegen Torsten Sommerfeld im Vorstand des Trägervereins. Außerdem gibt es viele Gemeindemitglieder, die ehrenamtlich im Bickolo mitmachen, wobei Kirchengemeinde sehr viel mehr bedeutet als nur die Kirchtürme. Denn auch ohne Kirchturm sind wir hier ein Ort der Kirche. Hier gibt es Begegnung, geteiltes Leben und konkrete Hilfe.
DOMRADIO.DE: Nehmen die Menschen Sie trotzdem als Vertreterin der Kirche wahr?
Freisinger-Hahn: Mein Arbeitsschwerpunkt liegt bei Familien mit kleinen Kindern. Hier laufen konkrete Kooperationen zwischen der Kirchengemeinde und dem Café Bickolo. Vielen Familien bin ich bekannt, weil ich mit den Kindern in den Kitas oder in Schulgottesdiensten zusammenkomme.
Nach Corona hat sich die Zusammenarbeit mit dem Familienzentrum BiOs und dem Café nochmals intensiviert. Zunächst waren die Familien mit kleineren Kindern im Blick. Mit der Zeit haben wir aber dann gemerkt, dass Väter und Mütter eine Verbesserung der Beziehungsqualität zu ihren Kindern brauchen.
Deswegen haben wir mit einer Honorarkraft den vorhandenen Kunstraum für kunsttherapeutische Angebote genutzt. Dieses Angebot ist sowohl von Familien aus dem Westend als auch aus Bickendorf und Ossendorf wahrgenommen worden.
Darüber hinaus ist von Vorteil, dass zwei Kitas fußläufig zum Bickolo liegen. Wir stellen fest, dass die Familien aus sehr unterschiedlichen sozialen Milieus kommen und von daher auch unterschiedliche Angebote brauchen.
Allen diesen Angeboten aber ist, wie gesagt, die Niederschwelligkeit gemeinsam, die ein ganz entscheidender Faktor beim Erfolg eines Angebots ist. Als Netzwerkpartner für die Familien im Veedel ist das katholische Familienzentrum BiOs immer ansprechbar.
DOMRADIO.DE: Wenn hier ganz viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichstem religiösen Hintergrund zusammentreffen, geht es auch darum interreligiös zu arbeiten. Wie kann da ein pastoraler Ansatz aussehen?
Freisinger-Hahn: Da leitet uns das Jesaja-Wort "Suchet der Stadt Bestes". Gemeint ist, wenn es den Menschen um Euch herum gut geht, geht es auch Euch selbst gut. Mit unserem Engagement für Familien schaffen wir eine Verbesserung.
Für die Menschen da zu sein, ihnen in ihrer jeweiligen Lebenssituation beizustehen, dieses Zeugnis des Handelns – das ist nicht nur das Ureigenste des Christlichen, sondern auch des Muslimischen, des Buddhistischen und anderer Religionsgemeinschaften, die hier leben.
Als Christen sind wir daran erkennbar, dass wir uns für andere einsetzen. Das tun wir, weil wir daran glauben, dass uns Christus im Anderen begegnet und dass der Heilige Geist es ist, der diese Gemeinschaft über Religionsgrenzen hinaus stiftet.
Der pastorale Ansatz zeigt sich dann in meiner wertschätzenden Haltung anderen Religionen gegenüber und in der Suche nach Gemeinsamkeiten, um im Frieden miteinander zu leben. Wir sind auf dem Weg für die Menschen aus unserem Glauben heraus.
Wir beobachten, dass der Wert der Familie in allen Religionen gleich ist und uns zusammenhält. Den Fremden nicht als Gefahr, sondern als Bereicherung zu erleben, auf ihn neugierig und für ihn offen zu sein – das üben wir hier bereits in ganz kleinen Schritten mit den Allerjüngsten.
DOMRADIO.DE: Welche Erfahrungen machen Sie mit den Familien, die ganz unterschiedliche Prägungen aus Ihren Herkunftsländern mitbringen?
Freisinger-Hahn: Diese Familien stellen untereinander fest, dass sie alle trotz unterschiedlicher Herkunft dieselben Probleme haben zum Beispiel in Bezug auf die Kinder in ihren Entwicklungsphasen und dass man sich darüber untereinander, aber auch in Beratungsgesprächen mit professioneller Hilfe austauschen kann.
Dadurch wächst auch das Interesse aneinander und man fragt sich gegenseitig: Wie kommt Ihr klar? Wenn es um ein wirklich persönliches oder familiäres Thema geht, wird auch die klassische Seelsorge in Anspruch genommen. Da frage ich auch nicht nach dem konfessionellen oder religiösen Hintergrund, den jemand hat oder auch nicht.
Natürlich verschweige ich meinen eigenen katholischen Glauben nicht – das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Es sollte nicht unterschätzt werden, dass Menschen sich eingeladen fühlen, wenn sie unter den Segen Gottes gestellt sind oder wir gemeinsame Gebete sprechen können – immer im Respekt vor der gegenseitigen Andersartigkeit.
DOMRADIO.DE: Können Sie Ihre Arbeit als Katholisches Familienzentrum BiOs bei den sich verändernden gemeindlichen Strukturen überhaupt fortsetzen?
Freisinger-Hahn: Nach dem Motto "kleine Füße, kleine Wege" soll das Familienzentrum, das wie gesagt mit den anderen Kitas und den Institutionen vor Ort gut vernetzt ist, am Ort erhalten bleiben, auch wenn die pastoralen Räume größer werden.
Wir kennen alle das biblische Wort "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen". Jesus hat nie nach der Nationalität oder Herkunft gefragt, stattdessen aber gesagt: Ich sehe dich und dein Leben. Und dadurch, dass du dich auf den Weg zu Gott hin machst – egal welchen Namen er trägt – sind wir auch in Gemeinschaft.
Diese Gemeinschaft soll weiter gestärkt werden, auch mit größeren organisatorischen Sozialformen von Gemeinden. Für mich wohnt Gott nicht in einem Haus aus Stein. Der menschliche Kirchturm, der steht für mich in den Kitas von St. Rochus und Dreikönigen, der SKM-Einrichtung im Ossendorfer Weg und überall im Familienzentrum BiOs. Aber eben auch hier im Café Bickolo.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.