Telefonseelsorgerin nimmt an Gespräch "God meets Gays" teil

"Queersein gehört eben auch dazu"

Am Mittwochabend ist im Zusammenhang mit der Cologne Pride der Kirchentalk "God meets Gays". Mit dabei ist Annelie Bracke als Leiterin der katholischen TelefonSeelsorge Köln. Sie hofft auf einen lebendigen Austausch auf Augenhöhe.

Regenbogenfahne mit Kölner Dom im Hintergrund / © Johannes Schröer (DR)
Regenbogenfahne mit Kölner Dom im Hintergrund / © Johannes Schröer ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie sind katholische Leiterin der Telefonseelsorge in Köln. Warum nehmen Sie an dem Kirchengespräch heute Abend teil?

Annelie Bracke (Leiterin der katholischen TelefonSeelsorge Köln): Ich wurde gefragt und habe die Einladung gerne angenommen, weil es ein Thema ist, das mir selber sehr wichtig ist. 

Ich finde auch, das uns als Kirche wichtig sein sollte, Menschen in ihren jeweiligen Identitäten, wie sie sich erleben, welche Sehnsüchte und Ängste sie mit sich haben, ernst zu nehmen und auf Augenhöhe zu begegnen. Queersein gehört eben auch dazu.

Annelie Bracke

"Man definiert sich nicht, sondern man erzählt."

DOMRADIO.DE: Wie ist das in Ihrem Alltag? Mit welchen Fragen, mit welchen Sorgen melden sich queere Menschen bei Ihnen in der Telefonseelsorge? Wie sieht Ihre Beratung aus?

Bracke: Die melden sich nicht mit "Ich bin homosexuell, lesbisch oder non-binär und ich habe folgendes Thema". Menschen erzählen von sich, von einsam sein, von Beziehungsproblemen, Ängsten und Sehnsüchten. 

Meistens erfahren wir erst am Rande des Gesprächs oder im Laufe des Gesprächs, dass jemand mit einer männlichen Stimme erzählt, dass er einen Mann liebt oder andere Konstellationen. 

Das heißt, man definiert sich nicht, sondern man erzählt über die jeweiligen Beziehungsthemen. Das ist im Grunde selbstverständlich. Die sind in verschiedenen Konstellationen. Ob die Anrufenden queer oder gay sind, spielt keine große Rolle, sondern das Menschsein und ihre Sehnsüchte, Ängste, Spannungen, Konflikte.

Annelie Bracke

"Wir müssen auch gar nicht immer alles verstehen oder nachvollziehen können."

DOMRADIO.DE: Was tun Sie dann? Wie geht so ein Gespräch weiter?

Bracke: Wir sind Seelsorge. Wir haben nicht das Anliegen, Menschen Lösungen anzubieten. Außer sie fragen direkt danach. Auch wenn sie fragen, würden wir mit ihnen zusammen etwas entwickeln. Wir versuchen jedoch erst mal zu verstehen, nachzufragen und nachzuspüren: Was ist die Not, was ist die Frage? Worum geht es? Darüber in Kontakt zu gehen. 

Deutsche Telefonseelsorge wird 60 Jahre alt / © Uli Deck (dpa)
Deutsche Telefonseelsorge wird 60 Jahre alt / © Uli Deck ( dpa )

Wir müssen auch gar nicht immer alles verstehen oder nachvollziehen können, sondern wenn wir sie ernst nehmen und hinhören und das, was wir spüren, mal als Frage formulieren, helfen wir den anderen, sich selbst anzunehmen und besser zu verstehen. 

Das ist vielleicht immer noch das Besondere bei diesem Thema, dass ich glaube, dass in weiten Teilen es Menschen weiterhin schwer fällt, vielleicht gerade auch jüngeren Menschen, sich in dieser Identität und diese Seite von sich anzunehmen. Denn insgesamt ist es gesellschaftlich noch nicht so selbstverständlich. 

Annelie Bracke

"Diese Selbstverständlichkeit können wir anbieten im Gespräch, indem wir jeden Menschen so annehmen, wie er ist."

Das ist vielleicht in einer Stadt wie Köln teilweise anders, aber insgesamt ist es immer noch ein Thema. Wenn ich beispielsweise an die Fußball-EM denke. Es gibt keinen aktiven Fußballer, der sich geoutet hat, dass er schwul ist. Das wird aber bei vielen sein.

Diese Selbstverständlichkeit können wir anbieten im Gespräch, indem wir jeden Menschen so annehmen, wie er ist. Das ist schon ein großer Beitrag von Seelsorge.

Annelie Bracke

"Ich fand es schade, aber auch bezeichnend, dass es aufgeheizt ist."

DOMRADIO.DE: Schauen wir noch mal auf die Veranstaltung Mittwochabend "God meets Gays", die hat vorher schon für Schlagzeilen sorgt. Denn es gibt eine Petition mit inzwischen etwa 19.000 Unterschriften gegen die Beteiligung des Kölner Stadtdekanats an der Veranstaltung. 

In der Petition heißt es, es gebe einen radikalen Widerspruch zwischen katholischem Anspruch und LGBT-Ideologie. Stadtdechant Robert Kleine hat die Kritik zurückgewiesen. Wie nehmen Sie das im Vorfeld dieser Veranstaltung, dieser Diskussion war?

Bracke: Natürlich hat mich die Petition erst mal überrascht, aber beim Nachdenken auch wieder nicht. Das Thema ist wie leider viele Themen im Moment unheimlich polarisiert. Ich war froh und fand es gut, dass der Stadtdechant auch als Theologe und Leitender in der Kirche, Stellung bezogen hat, dass wir in den Dialog gehen wollen. 

Gestalten das Programm des Stadtdekanats Köln zum ColognePride 2024 (v. re.): Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine, Dragqueen Cassy Carrington, Ken Reise (alias Julie Voyage) und Psychologin Annelie Bracke. / © Thomas Gruner/Stadtdekanat Köln
Gestalten das Programm des Stadtdekanats Köln zum ColognePride 2024 (v. re.): Kölns Stadtdechant Msgr. Robert Kleine, Dragqueen Cassy Carrington, Ken Reise (alias Julie Voyage) und Psychologin Annelie Bracke. / © Thomas Gruner/Stadtdekanat Köln

Außerdem sind viele Mitarbeitende in der Kirche selber queer. Das ist ganz wichtig, dass wir darüber reden. Ich fand es schade, aber auch bezeichnend, dass es aufgeheizt ist. Ich hoffe, dass es in der Veranstaltung nicht aufgeheizt wird, sondern dass man auch mit den Menschen, die zu Gast sind, über verschiedene Positionen reden kann. Aber mit Respekt und mit gegenseitigem Zuhören und nicht mit solchen Extremforderungen.

Annelie Bracke

"Wir gehen in den Dialog, wo Menschen im Tiefsten betroffen und berührt sind."

DOMRADIO.DE: Sie werden bei der Veranstaltung ab 20 Uhr mitdiskutieren. Was erwarten Sie von diesem Abend?

Bracke: Ich hoffe auf einen spannenden Austausch. Denn im Podium sind zwei Beteiligte, die mit dem Thema einen eigenen Leidens- und Lebensweg haben. Ich hoffe, dass wir uns austauschen, dass es noch mal Klärungen gibt, auch in Bezug auf die kirchliche Haltung dazu, dass ich als Psychologin auch etwas dazu sagen und enttabuisieren kann. 

Ich hoffe auch, dass wir in einen lebendigen Austausch auf Augenhöhe kommen, in dem sich das Publikum einbringen kann. Dass wir damit vor allem auch ein Zeichen setzen als katholische Kirche hier in Köln. Wir gehen in den Dialog, wo Menschen im Tiefsten betroffen und berührt sind.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Wer steckt hinter dem Protest?

Gegen die Beteiligung der katholischen Kirche in Köln am Christopher Street Day (CSD) regt sich Protest. Eine entsprechende Petition auf der umstrittenen konservativen Plattform "citizengo" erhielt nach deren Angaben bis Freitag den 12. Juli 2024 rund 16.000 Unterschriften. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner fordern den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki auf, die Beteiligung am "Cologne Pride" zu unterbinden, weil dieser dem Glauben radikal zuwiderlaufe.

Flagge des Christopher Street Days  / © Roberto Pfeil (dpa)
Flagge des Christopher Street Days / © Roberto Pfeil ( dpa )
Quelle:
DR